Dieser Artikel erschien am 8.Juni 1995 in der Regionalzeitung / Autor: Franz Schwaiger

Größtes Kriegsgefangenenlager Süddeutschlands 1945/46 vor den Toren Aiblings:

Erinnerungen mit Schrecken

PWE 26 - Drei Buchstaben und zwei Ziffern, die Hunderttausende von deutschen Soldaten nicht vergessen werden. Das Kürzel (Prisoners War Enclosement 26) steht für das größte Gefangenenlager in süddeutschen Raum, direkt vor den Toren der Kurstadt gelegen. Auf engstem Raum vegetierten dort von Mai 1945 bis Ende Juli 1946 schätzungsweise 750tausend Wehrmachtsangehörige, vom einfachen Landser bis zum General. Dr. Gerhard Spiegelberger aus Miesbach, einer der Lagerinsassen: "Ich denke an die Zeit im Aiblinger Camp heute noch mit Schrecken zurück."

Ab 6. Mai, vier Tage nachdem der erste amerikanische Panzer an die Lazarettstadt Bad Aibling gerollt war schwoll die "Bevölkerung" gewaltig an. Tag für Tag wurden auf Dutzenden von Lastwagen Kriegsgefangene angekarrt, endlose Kolonnen marschierten aus allen Richtungen auf PWE 26 zu. Der damalige Stadtpfarrer Dekan Jakob Albrecht in der Chronik des Dekanats: "Am 6. Mai begann der Einmarsch der kriegsgefangenen deutschen Soldaten in das Gefangenenlager, in welches der hiesige Flugplatz umgewandelt worden war. Der Marsch der Kriegsgefangenen durch die Stadt dauerte über zwei Stunden und bot ein unsäglich trauriges Bild. Müde und hungrig, ganz erschöpft, zogen sie ihres Weges.
Was die ausgemergelten Landser, zu denen sich im Laufe der Monate auch rund 100 Generale und andere hohe Offiziere gesellten, auf dem Gelände des ehemaligen Fliegerhorstes vorfanden, war nicht sehr einladend: Es gab weder Unterkünfte noch Wasser oder Latrinen. Otto Meidenhelder aus Bad Wimpfen erinnert sich: "Wir wurden auf dem Flugfeld zusammengetrieben, an jeder Ecke fuhr ein Panzer auf. Nachts wurde der Menschenhaufen mit großen Scheinwerfern angestrahlt."

Kriegsgefangenschaft
Der Fliegerhorst Anfang Mai: Im Vordergrund einige
nicht mehr funktionsfähige ME 109,
links und oben die ersten Scharen von Gefangenen.

Tausende in einem Käfig
Nach Aussagen der Zeitzeugen begannen die Amerikaner nach ein paar Tagen, mit Zäunen und Stacheldraht sogenannte Cages (Käfige) zu bauen, in die jeweils einige tausend Mann eingesperrt wurden. Platz zum Liegen war kaum vorhanden, der Boden völlig aufgeweicht. Über die Zahl der Gefangenen herrscht noch heute Unklarheit. Ein Landser, der sich im Mai im Camp befand: "Ich hörte über Lautsprecher, dass sich jetzt 100tausend Gefangene im Lager befinden."


Dieses Foto vom Gefangenenlager schoß ein Fotograf
einer amerikanischen Presseagentur kurz nach Ende des Kriegs.

Ein Ehering für eine Scheibe Kommissbrot - das ist der Tauschkurs, den der Hunger diktiert. Wer nichts mehr zum Tauschen hat, kocht Gras oder Brennnesseln und schiebt gewaltigen Kohldampf. Dr. Gerhard Spiegelberger berichtet in einer Niederschrift, die er am 12. Mai 1995 im Aiblinger Heimatmuseum hinterlegt hat: "Ich kam im Herbst 1945 aus einem britischen Lazarett in Italien ins Camp, angeblich zur Entlassung. Ich war sehr gut ernährt und trotz meiner Verwundung gesund. Im Camp erhielten wir als Verpflegungsration täglich nur einen halben bis einen Liter Wassersuppe und einen Kanten Brot. Innerhalb von vier Wochen verlor ich die Hälfte meines Körpergewichts. Mehrere Kameraden brachen wegen Erschöpfung und Hunger zusammen und starben."

Ein Lager im Lager bildete Cage Ten, das Sondergehege für zirka 1000 Angehörige der Waffen-SS. Waren die Verhältnisse für die Wehrmachtsangehörigen schon katastrophal, so waren sie dort haarsträubend. Bis September konnten die einstigen Elitesoldaten in der schwarzen Uniform nur stehen. Als im August 80 Gefangenen die Flucht glückte, wurde die Überwachung drastisch verschärft. Adolf Hagenhenrich ein gebbürtiger Bielefelder, der seinen Lebensabend in Bad Endorf verbringt, war damals 26 Jahre alt. "Als ich im November in Lager kam, war an Flucht nicht mehr zu denken. Versorgt wurden wir nur mit dem Allernotwendigsten. Alle von uns sehnten den Tag herbei, an dem wir nach Dachau verlegt wurden", schildert der einstige Untersturmführer (Leutnant) seine Erlebnisse.

Ebenso wenig wie PWE 26 werden die Kriegsgefangenen einen Mann vergessen, der ihnen in ihrer größten Not beistand, wo immer er konnte: den evangelischen Pfarrer Braun. Er versorgte die PWOs (Prisoners of War), mit etwas, das ihnen ebenso sehr fehlte, wie Essen: mit Nachrichten. Der Geistliche, der im Zweiten Weltkrieg selbst Soldat war, durfte sich außerhalb des Lagers frei bewegen un hatte auch Zugang zum Camp. Nachrichten von draußen nach drinnen und umgekehrt schmuggelte er im Rahmen seines altersschwachen Fahrrad durch die strengen Kontrollen.


Das Aquarell "Gefangenenlager Bad Aibling", das sich im
Besitz der Stadt Bad Aibling befindet, vermittelt einen
Eindruck vom Lagerleben.

Pfingsten 1945: erster Gottesdienst
Pfingsten 1945 darf Pfarrer Braun im PWE 26 den ersten Gottesdienst halten, der Zulauf ist überwältigend. Auch die SS-Soldaten bitten um geistliche Betreuung, die von Pfarrer Braun und seinem katholischen Mitbruder Riener gewährt wird. Neben dem Seelenheil kümmern sich die beiden Geistlichen auch darum, dass einige jugendliche Gefangene, die krank und am Verhungern sind, im Lazarett oder Krankenrevier wieder aufgepäppelt werden.
Pfarrer Braun hat zwischenzeitlich einen tüchtigen Beistand gefunden - den Jesuitenpater Graf von Tattenbach. Auch von seiten des Roten Kreuzes kommt Hilfe: Die Aiblingerin Ida Brigl richtet eine erste Hilfsstelle außerhalb des Lagers auf. Wichtiger Teil der gemeinsamen Arbeit ist es, Angehörigen bei der Suche nach ihren Söhnen oder Männern zu helfen, meist vergebens, da keinerlei Aufzeichnungen existieren.
In seinem Tagebuch vermerkte Pfarrer Braun auch ein tragikomisches Ereignis: "Nachmittags (27. August 45) kommt ein Großbauer aus Weilderstadt in Württemberg mitsamt seinem Pfarrer und Chauffeur angefahren und erklärt, er müsse seinen Sohn im Lager sprechen, ja womöglich gleich mitnehmen. Das geht natürlich nicht. Der Besuch zieht niedergeschlagen ab, hinterlässt aber ein Pfund Butter und eine Flasche Schnaps."

Für viele Gefangene war PWE 26 noch nicht die letzte Elendsstation. Vor allem viele Soldaten der Italienarmee wurden nach Ulm und Heilbronn verfrachtet und den Franzosen ausgeliefert. Nach Aussage von Georg Krug, Kolbermoor, der als einfacher Landser drei Jahre in französischer Gefangenschaft kam, mussten die meisten seiner Leidensgenossen dort Minen suchen oder in Bergwerken arbeiten. Nur wenigen gelang es, in der Landwirtschaft beschäftigt zu werden.

Am Ende der Gefangenschaft:
entlassene Soldaten machen auf dem Marienplatz in Bad Aibling Musik, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.